Mit einer Metallbox durch ein Jahrhundert der Meeresforschung

Ein Weltrekord für die Zukunft

Wie verändert sich das Leben der Kleinsten in unseren Ozeanen und wie groß ist der Einfluss des Menschen? Die Antwort auf diese Fragen gibt eine circa ein Meter lange, torpedoförmige Metallkonstruktion, die vor rund 90 Jahren erfunden wurde und noch heute von Wissenschaftlern der Marine Biological Association genutzt wird.

Ernst Russ AG: Meeresforschung

Dieses einfache Forschungsgerät, das auch von Schiffen der Ernst Russ-Flotte durch die Weltmeere gezogen wird, ist nun schon so lange und erfolgreich im Einsatz, dass bereits ein Eintrag im Guinness-Buch der Weltrekorde existiert. Die Ergebnisse dieser Forschung bilden die Basis für Entscheidungen der Vereinten Nationen und sollen mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) auch weiterhin zu einer lebenswerten Zukunft verhelfen. 

CPR-Recorder-Konstruktion

Ernst Russ AG - CPR-Recorder
Ein Getriebesystem mit Flügelrad treibt das Seidenband, auf dem sich das Plankton sammelt – rund 10 cm Seide für 19 km. Mit jeder CPR-Kassette können bis zu 830 km beprobt werden.

„Plankton erhält das Leben auf diesem Planeten, indem es fast die Hälfte des Sauerstoffs produziert, den wir atmen.“

Wir schreiben das Jahr 1930. Der Container war noch nicht erfunden und die Weltmeere waren zu großen Teilen unerforscht. In dieser Zeit machten die Forscher William Beebe und Otis Barton erstmalig Tauchkapselfahrten, die sie für kurze Zeit auf eine Tiefe von 800 Meter unter den Meeresspiegel führten. Trotz der kurzen Zeit und der winzigen Bullaugen schreibt Beebe begeistert in sein Tagebuch: „Kein Kundschafter auf dem Mars kann eine größere Aufregung verspüren. Manchmal sieht man Lichtblitze von unbekannten Organismen. (…) inmitten unbeschreiblicher Funken, unerklärlicher Lichtausbrüche, viel zu kurzer Anblicke fremdartiger Wesen, ergab sich immer wieder die Gelegenheit, einen neuen Fisch oder eine andere Kreatur unserem Wissen über das Leben in der Tiefsee hinzuzufügen.“ Leider wurde die Begeisterung der beiden Forscher nicht geteilt – sie wurden sogar von ihren Kollegen verlacht. Zu fantastisch waren die Beobachtungen für die damalige Zeit, als dass man ihnen vollständigen Glauben schenken konnte. In dieser Zeit, am 15. September 1931, wurde auch der erste Continuous Plankton Recorder (CPR) zur Untersuchung der maritimen Tier- und Pflanzenwelt ins Wasser gelassen.

Ernst Russ AG
Der CPR-Recorder war auch auf der Lodur und hat mit Hilfe des Containerschiffs der Ernst Russ AG auf vielen Kilometern das Ozeanwasser vor Südafrika analysiert.

In dieser Zeit, am 15. September 1931, wurde auch der erste Continuous Plankton Recorder (CPR) zur Untersuchung der maritimen Tier- und Pflanzenwelt ins Wasser gelassen. Die erste CPR-Konstruktion, die vom Handelsschiff SS ALBATROSS durch Teile der Nordsee gezogen wurde, erwies sich als erfolgversprechend. Der CPR-Erfinder Sir Alister Hardy hatte die visionäre Idee, mit den Informationen, die ihm die Forschungsergebnisse brachten, die Meeresbewohner zu kartieren, die Fangergebnisse der Fischerei zu verbessern und sogar das Wetter vorherzusagen. Nach ersten gelungenen Probeentnahmen wurde dieser Vorgang wiederholt – bis heute sogar tausendfach. Zwischen 1931 und 2020 legte die Metallbox, die an einem langen Stahlseil von Forschungs- oder Frachtschiffen durch das Meer gezogen wird, 7.063.622 Seemeilen oder 13.081.828 Kilometer zurück. Diese Strecke ist vergleichbar mit 326 Weltumrundungen und brachte dem britischen Forscher-Team der Marine Biological Association (MBA) sogar einen Eintrag in das Guinness-Buch der Weltrekorde ein. Im Jahre 1958 wurden bei der Verwendung des CPR standardisierte Methoden für die Probenahme und -analyse eingeführt, die seitdem kaum verändert wurden.

70 % der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt. Fast 98 % der Biomasse in unseren Weltmeeren besteht aus Plankton. Diese winzigen im Wasser dahintreibenden Pflanzen und Tiere sind die Grundlage allen Lebens im Meer, denn sie sind Nahrung für Fische, Robben, Wale und für viele andere Tiere.

In der Forschung zur Meeresumwelt sind langfristige Datensätze und geografisch umfangreiche meeresökologische Erhebungen äußerst selten. Daher sind Konsistenz und Vergleichbarkeit die Hauptstärken der CPR-Forschung. Beobachtete Veränderungen sind mit dem CPR auf tatsächliche Veränderungen in der Meeresumwelt zurückzuführen und nicht auf Änderungen im Probeentnahmeprotokoll.

CPR-Ergebnisse: Von Einzellern und Plastiktüten

Die Untersuchung der Meeresgewässer hat eine umfangreiche Datenbank des Meeresplanktons und der zugehörigen Metadaten hervorgebracht, die von Forschern wie auch von Politikern genutzt wird, um strategisch wichtige wissenschaftliche Aspekte wie Klimawandel, menschliche Gesundheit, Fischerei, biologische Vielfalt, Krankheitserreger, invasive Arten, Versauerung der Ozeane und vieles mehr zu beleuchten. Im September 2011 gründete die Sir Alister Hardy Foundation for Ocean Science (die Organisation, die damals für die Durchführung des CPR-Projekts verantwortlich war) eine internationale Allianz, um mehrere unabhängige Forschungsprojekte zu vereinen. Das Ziel war, ein noch vollständigeres Bild der Plankton-Biodiversität zu erhalten. Durch die Bündelung hat die Allianz der CPR-Erhebungen (Global Alliance of CPR Surveys, GACS) ein wichtiges Unterstützungsnetz gebildet. Bis heute haben die wissenschaftlichen Neuerungen und Erkenntnisse für eine Vielzahl von Veränderungen in der globalen Meeresbiologie gesorgt.

David Johns (Head of CPR Survey) und Dave Wilson (Ship Liaison Officer), Marine Biological Association

Die Erhebung hat u. a. die letzten beiden IPCC-Berichte (Intergovernmental Panel on Climate Change – Institution der Vereinten Nationen) und die erste Weltozeanbewertung der Vereinten Nationen über die aktuellen ökologischen Regimeverschiebungen, die biogeografi schen und transarktischen Wanderungen sowie die jahreszeitlichen Veränderungen als Reaktion auf den Klimawandel informiert. Zudem konnte der CPR eine Zunahme von Plastikmüll in den Ozeanen nachweisen. Heute ist erwiesen, dass Kunststoff e die Meeresumwelt bedrohen. Die gesammelten Daten aus mehr als sieben Millionen Seemeilen des Nordatlantiks zeigen eine deutliche Zunahme größerer Kunststoff teile (Makroplastik) – Wissenschaftler der Marine Biological Association und der Universität Plymouth haben dies als Erste in den offenen Ozeanen nachgewiesen.

Die MBA-Wissenschaftler haben mittlerweile rund 800 taxonomische Gruppen von Phyto- sowie Zooplankton aus dem Nordatlantik und dem Pazifik erfasst.

Heute ist das CPR-Projekt in Bereiche vorgestoßen, die sich Sir Alister sicher nie ausgemalt hat. Vorhersage von Arten und Lebensgemeinschaften mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellen Lerntechniken für historische Datensätze, die Verwendung von KI für die Identifizierung und Klassifizierung von Bildern oder die Verwendung neuer molekularer Techniken für die von der CPR gesammelten Planktonproben – die Wissenschaft ist sich darüber im Klaren, dass zum Verständnis eines so komplexen Systems wie den Ozeanen, neue Techniken und Informationen genutzt werden müssen. Es zeugt von der Größe der Vision von Sir Alister, dass sich der CPR auch für diese fortgeschrittene Forschung eignet. Die Anwendungen der CPR-Daten haben sich im Laufe der Jahre erstaunlich weiterentwickelt. Das Herzstück ist aber der gleichmäßige, konstante Rhythmus der CPR-Fahrten.

Weitere Tipps und Informationen finden Sie in dem aktuellen Investor's Quarterly.

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